Der Gast findet im Hamburger «The Table» einen Ort, um sich fallen und von Kevin Fehlings Köstlichkeiten berauschen zu lassen – ganz ohne herkömmliche Schickeria.
Konzentriert rührt Kevin Fehling in einem Kochtopf mit kleingeschnittenem Aal. Der Fisch wird glasiert. Dazu gibt es Dashi, einen japanischen Fischsud. Oben drüber kommt aufgeschlagener Reisschaum, garniert mit kleinen grünen Perlen. „Das ist Wasabi-Forellen-Kaviar“, erklärt der mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Koch aus Hamburg, während er das Gericht in kleinen Schälchen anrichtet.
Die meisten Sterneköche werkeln und brutzeln ganz klassisch hinter geschlossenen Türen und drehen höchstens am Ende des abendlichen Service eine Runde durchs Lokal. Doch der 41-Jährige liebt den Kontakt mit den Menschen, für die er kocht. Kevin Fehling hat die Sterne-Gastronomie tüchtig entstaubt und auf links gedreht. In seinem Restaurant in Hamburg sitzen alle in der Küche. Dass dort die besten Partys stattfinden weiss jeder. 2015 hat Fehling den sicheren Hafen als Angestellter im Hotel Columbia in Travemünde verlassen - auch dort war er bereits mit drei Michelin-Sterne dekoriert - und sich in Hamburg selbstständig gemacht. „Ich wollte konzeptionell neue Massstäbe setzen“, sagt er.
Fehlings Restaurant namens „The Table“ im Stadtteil Hafencity fällt allein schon architektonisch aus dem Rahmen: Ein einziger Raum mit hohen Decken und Wänden aus Sichtbeton, in der Ecke eine offene Küche aus Edelstahl. Alles sehr schick, sehr puristisch. Es gibt nur einen einzigen Tisch - den namensgebenden „Table“. Eine lange Theke aus dunklem Kirschholz, die sich in einer seltsamen organischen Form schlängelt. Auf der einen Seite stehen bequeme, drehbare Ledersessel, genau 20 Leute können Platz nehmen. Die Gäste können den Köchen nicht nur bei der Arbeit zuschauen, jeder Gang wird auch direkt vor ihren Augen angerichtet. Sterneküche zum Anfassen.
„Geniessen ist ein geselliger Akt“, sagt Kevin Fehling. Deshalb sitzen bei ihm alle beieinander, aber mit etwas Abstand. Man kann ins Gespräch kommen - muss es aber nicht. Die Gäste kommen in zwei Schwüngen, zehn Personen um 19 Uhr und zehn um 20 Uhr. Alle essen ein einheitliches Menü, das drei Tage vorher per Mail bekannt gegeben wird. „Im Grunde ist es, als ob wir jeden Abend zweimal ein Mini-Bankett kochen. Aber natürlich gehen wir auf Sonderwünsche und Allergien ein“, sagt Kevin Fehling. Das Prinzip vereinfacht die Arbeit der Köche, sorgt für Planbarkeit und ist familienfreundlicher als in vergleichbaren Restaurants. Im Gegensatz zu den Mitbewerbern habe er daher keine Probleme, gutes Personal zu finden. Fehling versteht die Nöte von Familienmenschen, er ist selbst Vater von zwei Töchtern, Ivy und Lene, drei und sechs Jahre alt.
„Bei uns sollen sich die Gäste zuhause fühlen, wie im Esszimmer von guten Freunden, die sehr gut kochen können“, sagt Kevin Fehling. Den Gastgeber freut es, wenn aus dem gesetzten Essen eine lustige Party wird und völlig fremde Menschen gemeinsam Spass haben. Die Idee kommt an: unter der Woche ist das Restaurant neun Monate im Voraus ausgebucht. Wer am Wochenende zum Essen kommen möchte muss sich ein Jahr zuvor anmelden.
Kevin Fehling hat Glück - und ein herausragendes Konzept. Es gibt Gäste, die extra wegen ihm nach Hamburg kommen. „Einmal flog jemand für eine Nacht aus New York ein, nur um bei mir zu essen. Da war ich sehr gerührt“, sagt er. Als Gastgeber begrüsst er jeden Gast an der Tür, steht während des ganzen Abends ständig für Fragen zur Verfügung. Das erfordert eine gute Vorbereitung und ein eingespieltes Team, das möglichst wenig Krach macht und nicht laut mit Pfannen klappert. Auch der Chef selbst verhält sich ruhig. „Ich bin nicht der Typ, der herumschreit“, sagt Fehling, „die Zeiten cholerischer Spitzenköche sind lange vorbei.“
Für den gebürtigen Niedersachen - er kommt wie Popsängerin Sarah Connor aus Delmenhorst bei Bremen und wurde übrigens nach dem englischen Fussballspieler Kevin Keegan benannt - soll Essen Spass machen. Er möchte seine Gäste beflügeln, statt erdrücken. Deshalb hat er die Champions League der Küche von Konventionen befreit. Wie soll der Gast entspannen, wenn sich ständig ein weissbehandschuhter Kellner von hinten anschleicht? Steife Regeln, weissen Damast und Silberbesteck hat Kevin Fehling abgeschafft. Trotz der ungezwungenen Atmosphäre wird Perfektion gross geschrieben: das, was Fehling und seine fünf Köche servieren, hat herausragende Qualität. Aus dem Stand bewerteten die Tester des Guide Michelin das Konzept mit drei Sternen. Diese höchste Auszeichnung tragen im Moment nur elf Köche in ganz Deutschland. Als Hobby-Astronom hat sich Kevin Fehling schon immer für die Weiten des Weltalls interessiert. Nun, wo er in sehr jungen Jahren schon alles in seinem Beruf erreicht hat, gibt es nur ein Ziel: Die drei Sterne halten.
Text: Susanne Hamann
Kevin Fehling, Jahrgang 1977, geboren und aufgewachsen in Delmenhorst, führt nach Stationen wie der Schwarzwaldstube und dem Wullenwever ab 2005 als Küchenchef das La Belle Epoque in Travemünde. Auf den ersten Michelin-Stern 2008 folgten 2011 der zweite und schliesslich 2013 der dritte, den er bis heute halten kann – damit wurde er zum jüngsten Drei-Sterne-Koch des Landes. Im August 2015 eröffnete Kevin Fehling sein eigenes Restaurant, das «The Table» in Hamburg, und erkochte sich im ersten Jahr seine drei Sterne gleich zurück.